Jakob und ich kauften nun einen Kranz aus wirklichem Lorbeer und ließen ihn mit Andreas’ Lieblingsblumen durchsetzen, weißen und blaßroten Geranien. Jakob, – denn er war viel besser als er schien! – holte dazu aus dem ersten Seidengeschäft der Stadt eine breite Schleife aus grünem Damast mit echten Goldfransen. Nach langem Überlegen ließen wir noch spät am Abend den gestickten Spruch: »Aus Freundschaft« als ungenügend und gemein, wegtrennen und dafür in goldener Schrift hinsetzen:

»Dem treuen Wächter des Volkes!
Dem Prometheus der bäuerlichen Freiheit!

Eine dankbare Jugend.«

Am Freitag stellte Dr. Müller wirklich den Wasserstoff dar. Als die trübe Mischung sich endlich löste, das Phlegma niedersank und das reine Element in der Retorte emporstieg und sich an der Öffnung entzündete: da sah ich keine chemischen Substanzen mehr, sondern da war es die Seele des Nachtwächters, die sich aus dem schmalen Schultertuch und den engen Ärmeln endgültig befreit hatte. Erlöst von diesem schmutzigen und winkligen Leben, sah ich sie gleichsam verklärten Scheines wie diese Gasflamme emporschweben ins Reich der freien Himmelsgeister.

Zwei Tage später vernahmen wir, daß unser Kranz der schönste auf dem Grabe gewesen sei. Doch habe die Inschrift im Gemeinderat Unruhe erweckt, und man sei zum Gemeindeschreiber, der eine Bibliothek besitzt, und als dieser das Rätsel nicht lösen konnte, zum Pfarrer gegangen, um zu erfahren, ob in dem Ausdruck »Prometheus der bäuerlichen Freiheit« nicht eine geheime Aufreizung oder eine verkappte Verletzung der Dorfmajestät liege? Was eigentlich Prometheus heiße – ob das ein Tier oder ein Mensch gewesen sei? – Und wenn ein Mensch, – wie er gelebt und vor allem, ob er konservativ, altväterisch politisiert oder etwa auch in das freche Horn der Jungen gestoßen habe? – Darauf habe der Pfarrer leicht gelächelt und gesagt: »Herren Gemeinderäte! – Dieser Prometheus hat nie gelebt. Darum lasset den Spruch nur am Bande, ein Mensch, der nie existiert hat, wird Euch doch nicht Kopfweh machen!«

Darauf habe der Ammann den Lehrer Philippus zu sich rufen lassen und ihn um Aufschluß über den Prometheus gebeten. Denn der Rat des Geistlichen habe ihn nicht beruhigt. Und da sei denn die Wahrheit an den Tag gekommen, daß besagter Prometheus ein unbändiger heidnischer Wildling war, der dem Himmel trotzen und ein unerlaubtes Licht den Menschen bringen wollte, aber wie billig für solche Untat am Schwarzen Meer offiziell hingerichtet wurde. – Darauf beschloß der vollzählige Gemeinderat, mit Messer und Schere in die Krone zu gehen, wo der Kranz vorläufig noch hing, und die verbrecherische Hälfte der Widmung, verübt von zwei Grünschnäbeln, wegzukratzen oder wenn es gar nicht anders ginge, diesen Zipfel der Schleife wegzuschneiden.

Doch wie man sich an die Exekution machte, da kam noch rechtzeitig der alte Kronenwirt dazu. »Was geht das den ganzen löblichen Gemeinderat an, was mein Bub und der Walter dem Nachtwächter ins Grab schenken?« habe er gerufen. Keinen Buchstaben daran lasse er ändern und so wahr die Herren hinterrücks am Kranze das geringste flicken, werde er sorgen, daß solch häßliches und lächerliches Schildbürgerstücklein in allen drei Bezirkszeitungen gehörig geschildert und ihre Urheber mit Namen und Geschlecht dabei aufgeführt werden, wie die Spieler auf dem Theaterzettel.

Das habe gewirkt. Denn der Kronenwirt war ein unbescholtener, ganzer und höchst unabhängiger Mann. Man habe sich also damit begnügt, die Seidenschleife verkehrt auf das Grab zu legen, den tapferen Spruch zur Erde gewandt.

Heinrich Federer
Unser Nachtwächter Prometheus